Ben Becker
Uwe Bögel
Stefan Friedrich

Die Bühne bleibt erst einmal leer

Vaihingen. Tag zwei des Kultursommers Vaihingen beginnt schwierig, mausert sich am Ende aber doch noch irgendwie zu dem Gefühl: Grade noch mal gut gegangen. Auf der Bühne sitzt Ben Becker, ein an sich begnadeter Schauspieler, aber offenkundig auch ein launischer, hier und da auch überheblich wirkender Mensch, der an diesem Abend keinen Hehl daraus machte, was er von denen hält, die da unten sitzen, irgendwo auf dem Land, wo sie praktisch keine Ahnung von Kultur haben. Spielte er nur eine Rolle oder meinte er das ernst? Das Publikum zumindest hatte sich an diesem Abend für ersteres entschlossen und lachte gerne mit.

Es gibt Künstler, die machen es einem nicht gerade einfach, über sie zu schreiben. Ben Becker ist zweifellos einer von ihnen, ein Mann, von dem die einen sagen, dass er ein Schauspiel-Genie sei, das seinesgleichen sucht, bei dem andere aber auf die diversen Eskapaden hinweisen, die nicht zuletzt ein Kollege der Bietigheimer Zeitung am eigenen Leib erfahren musste, als er von eben jenem Becker vor Publikum geohrfeigt wurde, nur weil er seinem Beruf nachging und einen Auftritt für die Leser fotografisch festhalten wollte. Nun gastierte Ben Becker am Samstagabend beim Kultursommer in Vaihingen und irgendwie schien es schon im Vorfeld klar, dass dies kein ganz einfacher Abend werden würde, zuvorderst für alle Beteiligten vor und hinter den Kulissen, nicht zuletzt aber auch für die Medienvertreter. Pressefotos waren während der Veranstaltung von seinem Management strengstens untersagt worden. Eine Ausnahme gab es nur für die Zeit zwischen Ende des Soundcheck und dem Einlass des Publikums. Wirklich reibungslos verlief dieser vom Management selbst angebotene Termin freilich nicht, wie auch die Lesung selbst ein paar Überraschungen bereit halten sollte.

Der Gong zum Auftakt bleibt aus

Der traditionelle Gong, der sonst den Beginn einer Vorstellung ankündigt, musste ausbleiben, zumindest akustisch. Oberbürgermeister Uwe Skrzypek hatte sich deshalb bereit erklärt, gewissermaßen die Rolle als menschlicher Gongschlag zu übernehmen, als er gemeinsam mit Wirtschaftsförderer Martin Säurle auf die Bühne trat und Becker anmoderierte. Das Publikum wartete danach gespannt auf den großen Star, doch wer nur ein bisschen Ahnung von der Organisation und dem Ablauf solcher Veranstaltungen hat, von dem was während einer Show hinter den Kulissen abläuft, der musste schnell ahnen, dass hier grade etwas ganz gehörig schief zu gehen drohte, weil nach der Ankündigung nämlich kein Ben Becker nach vorne trat, sondern plötzlich Musik aus den Lautsprechern erklang, ziemlich lange sogar, während die Bühne leer blieb, ebenfalls ziemlich lange. Zur Show selbst hatte das ganz offensichtlich nicht gehört, wirkte eher wie eine spontan notwendig gewordene Überbrückung.

Auch im Publikum saßen viele und schienen erst einmal verwundert, was das zu bedeuten haben könnte. Nach einigen Minuten kamen Becker und sein langjähriger Freund und musikalischer Wegbegleiter Yoyo Röhm schließlich doch noch auf die Bühne. Becker wirkte zunächst alles andere als gut gelaunt, machte aus der schlechten Laune auch keinen Hehl, als er direkt auf die eigentlich wohlwollend und lobend formulierte Anmoderation abzielte, die ihn offensichtlich geärgert hat. Es sei ja nun schon alles gesagt worden über den Inhalt seiner Lesung und eigentlich bräuchten sie ja deshalb auch gar nicht mehr auftreten und wollten schon gehen, ließ er die Besucher wissen. Es brauchte nicht viel Phantasie, um zu erahnen, dass das keine pointierte Begrüßung, sondern bitterer Ernst gewesen ist, zumal der Schauspieler in den ersten Minuten lustlos und uninspiriert schien, alles klang irgendwie gleich, keine Nuancen, keine Phrasierungen, dasselbe Timbre, derselbe Duktus. Und so sollte das den ganzen Abend weitergehen? Glücklicherweise nicht.

Der Zauberlehrling schien zumindest ein erstes Aufatmen, wenngleich der Eindruck blieb, dass die wahre Freude nicht in den rezitierten Werken, sondern in der Lust an der Provokation lag. Eigentlich hätte er sich ein anderes Publikum gewünscht, bemerkte er im Verlauf des Abends. Er hätte ihnen auch etwas zu Goethes Faust erzählen können, tat es aber nicht. „Das könnte ich Ihnen erklären, aber da habe ich keine Lust zu. Das ist Perlen vor die Säue“, sagte Becker und erntete ein Raunen. Das schien allerdings genau das, was er haben wollte: „So ist es richtig, so fängt mir das an, Spaß zu machen“, denn er fahre ja nicht „acht Stunden hier runter, um mich zu langweilen“. Da sollte man im Publikum besser aufpassen, dass man nicht versehentlich auf die Toilette muss. „Wo gehen Sie denn jetzt hin? Wollen Sie ein Foto oder was?“, raunte er Besucher an. „Gibt’s auch nur auf dem Land, ich komme aus Berlin.“ Und selbst das Lob an eine Kollegin des Kultursommer-Teams klang vergiftet, wenn er davon sprach, dass sie die Zeilen beim Soundcheck „mit gequackt“ habe.

Kleine, dezente Beleidigungen flogen an diesem Abend im Zweifel schnell. Auch das fanden viele natürlich lustig. Ein bisschen Schadenfreude gehört eben dazu. Becker schien zumindest auf diese Weise Gefallen an dem Abend zu finden, wurde in seinen Interpretationen besser, verlieh den Texten mehr Tiefe, unterbrach auch dann nicht, als nach Einbruch der Dunkelheit in der Nähe ein Feuerwerk abgebrannt worden ist, eigentlich ein Störfaktor bei so einer Lesung. Mit Galgenhumor lässt sich offenkundig auch das noch ertragen. Dieses Programm sei ja ohnehin nicht für open air geschaffen worden, bemerkte er zwischendurch. Warum er diesen Abend dann trotzdem zugesagt hat? Die Frage wird er nur selbst beantworten können.